Studie der Otto Brenner Stiftung
Wie viele der PR-Eingriffe unentdeckt bleiben, ist schwer abzuschätzen.
Unternehmen manipulieren gezielt Einträge in Wikipedia. Das ist das Fazit der Studie „Verdeckte PR in Wikipedia – Das Weltwissen im Visier von Unternehmen“, erschienen bei der Otto Brenner Stiftung. Jeder kann bei dem Online-Lexikon mitarbeiten und somit ist es auch für bezahlte PR-Leute ein Leichtes, unliebsame Informationen zu überarbeiten. Wie viele dieser Eingriffe unentdeckt bleiben, ist schwer abzuschätzen, doch einige der mittlerweile aufgedeckten Fälle standen sogar über mehrere Monate auf der Seite.
Längst hat Wikipedia die gedruckte Version der Brockhaus Enzyklopädie vom Markt verdrängt. Es ist kein Wunder, dass immer mehr Menschen auf das Online-Lexikon zugreifen, denn es bietet aktuelles Wissen schnell und kostenlos. Wegen ihrer großen Beliebtheit ist die Seite auch für Unternehmen oder Politiker interessant. Denn auf diesem Wege können viele Menschen ohne großen Aufwand erreicht werden – also eine günstige Gelegenheit um Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Schöne neue PR-Welt?
Chancen und Risiken: Wissen von vielen
In seiner Studie zeigt der Journalist Marvin Oppong, wie leicht Unternehmen in Wikipedia eingreifen können. Außerdem bietet er tiefe Einblicke in die komplexe Hierarchie hinter dem Online-Lexikon. Das Mitmach-Konzept der Seite hat Erfolg, ist nach Meinung von Oppong aber riskant, denn Artikel können auch ohne Benutzerkonto bearbeitet werden. Selbst an-gemeldete Konten sind anonym – sie müssen weder verifiziert, noch mit richtigem Namen angelegt werden. So ist es nicht verwunderlich, dass Wikipedia mit Manipulationen zu kämpfen hat, doch die Wiki-Gemeinde ist davon überzeugt alles unter Kontrolle zu haben.
„Wenn irgendetwas den geringsten Anschein erweckt, nicht ganz mit rechten Dingen zuzugehen, treten verschiedene Alarmsysteme in Aktion“, so der Wikipedia-Benutzer „Schlesinger“ in einer Diskussion, die Oppong mit seiner Recherche innerhalb der Community ausgelöst hat. Der Journalist ist jedoch der Meinung, dass schon die Menge der Beiträge eine genaue Kontrolle schwierig macht. Allein die deutschsprachige Version zählt über 1,7 Millionen Artikel und nach „Wikipedia Statistik“ kommen täglich zwischen 300 und 400 neue Beiträge hinzu. Für eine Einzelperson ist es bei dieser Menge einfach unmöglich, den Überblick zu behalten und so alle Fehler, Betrugsversuche oder Scherz-Artikel zu bemerken.
Verdeckte PR durch Wikipedia-Mitglieder
Eine Hilfestellung schaffte der Programmierer Virgil Griffith mit dem Softwaretool „Wikiscanner“, mit dem IP-Adressen von Benutzerkonten oder anonymen Nutzern zurückverfolgt werden konnten. So war es möglich, ständige Manipulationen am Artikel „Scientology“ auf Geräte der Sekte zurückzuführen. Die Änderungen, platzierte Eigenwerbung und gelöschte kritische Passagen wurden von Wikipedia-Benutzern umgehend wieder rückgängig gemacht, doch die Scientologen blieben hartnäckig. Das führte sogar so weit, dass Wikipedia 2009 beschloss, Bearbeitungen von IP-Adressen der Organisation nicht mehr zuzulassen.
Wikipedia selbst bietet für jeden Leser ein gewisses Maß an Transparenz, denn durch die einsehbaren Versionsgeschichten der einzelnen Artikel kann jeder nachvollziehen, wie Beiträge des Lexikons im Laufe der Zeit bearbeitet wurden. So auch im Falle des Wikipedia-Accounts „Steylerpresse“. Hier spricht Oppong ebenfalls von verdeckter PR-Arbeit. Das Konto wurde von Tamara Häußler-Eisenmann, der Pressesprecherin des Männerordens „Steyler Missionare“, erstellt. Steylerpresse nahm zahlreiche Änderungen im Artikel zum Orden vor und erstellte einen Beitrag eines dazugehörigen Unternehmens. Häußler-Eisenmann hat ihre Identität und ihren Arbeitgeber jedoch nie verheimlicht, selbst der Benutzername ist sehr leicht zuzuordnen. Auf Kritik an ihrer Wortwahl, die teilweise wie Werbung gewirkt hatte, reagierte die Pressesprecherin verständnisvoll und sehr freundlich. Hier scheint es übertrieben von Manipulation zu sprechen. Das Vorgehen von Steylerpresse zeigt, dass eine Zusammenarbeit mit bezahlten PR-Leuten auf Wikipedia durchaus funktionieren kann. Mittlerweile wurde das Konto von der Plattform offiziell als Firmen-Account verifiziert.
PR-Arbeiten aus den eigenen Reihen
Wesentlich bedenklicher sind PR-Arbeiten, wenn sie aus den eigenen Reihen von Wikipedia stammen. Genau das wirft Oppong dem Biologen Achim Raschka vor, einem ehemaligen Vorstandsmitglied von „Wikimedia“, einem gemeinnützigen Verein, der Projekte unterstützt – unter anderem auch Wikipedia. Mit einigen tausend Beiträgen und Bearbeitungen zählt der aktive Wikipedianer zum festen Kern der Community, der von Kennern der Seite auf etwa tausend freiwillige Mitarbeiter geschätzt wird.
Außerdem ist Raschka ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Nova-Instituts, das in der privaten Forschung für unterschiedliche Auftraggeber tätig ist. In Zusammenarbeit mit Wikimedia wurde 2007 das Wiki-Projekt „Nachwachsende Rohstoffe“ (Nawaro) realisiert, in dessen Rahmen innerhalb von drei Jahren über 300 neue Artikel zu nachwachsenden Rohstoffen verfasst wurden. Nawaro wurde mit knapp einer Viertel Million Euro vom Verbraucherschutzministerium gefördert, was für Oppong ein klarer Fall von bezahltem Schreiben ist. Besonders, da nicht offengelegt wurde, wie die staatlichen Mittel verteilt wurden.
Darüber hinaus ist er davon überzeugt, dass Raschka seine Position als Projektleiter genutzt hat, um Werbung für Firmen zu platzieren, doch in dem Blog „Free as in free beer“ erklärt dieser, dass es sich ausschließlich um spezielle Produktnamen gehandelt habe. Des Weiteren deckt die Studie auf, dass der Biologe Unternehmen zur Arbeit mit Wikipedia beraten hat, die kurze Zeit später Wikipedia-Artikel bearbeitet haben. Raschka rechtfertigt sich in seinem Blog, dass er in diesen Seminaren lediglich versuche die Funktionsweise von Wikipedia aufzuzeigen und zu vermitteln, was im Rahmen der Wikipedia-Grundsätze gewollt und machbar sei. Auch von Seiten der Unternehmen.
Oppongs Verbesserungsvorschläge
Oppong unterbreitet Vorschläge, die das Lexikon seiner Meinung nach verbessern würden. Einiges davon wird teilweise bereits praktiziert, wie die Bestrafung von Regelbrüchen. Zwar empfiehlt Oppong härteres Durchgreifen, doch Sanktionen sind schon längst Praxis und Verstöße werden mit Sperrung geahndet. User können Sperranträge stellen, die von den Administratoren geprüft werden. Notfalls können solche Anträge auch zu höheren Stellen innerhalb der Wikipedia-Hierarchie getragen werden, sollte der Verdacht aufkommen, dass ein Administrator seinen Einfluss missbraucht und eine unfaire Entscheidung getroffen hat.
Offenlegung von Accounts
Außerdem fordert Oppong die Offenlegung von Unternehmens-Accounts, damit sich niemand hinter der Anonymität des Internets verstecken kann. Tatsächlich ist es bereits seit 2011 möglich, Benutzerkonten freiwillig verifizieren zu lassen. „Die Benutzerverifizierung ist ein Verfahren, das verhindern soll, dass Unbefugte unter dem Namen einer Organisation oder einer berühmten Persönlichkeit in Wikipedia auftreten“, heißt es in der Erläuterung des Lexikons. Etwa 2.500 Benutzerkonten sind in der deutschen Wikipedia bereits überprüft. Das Projekt „Umgang mit bezahltem Schreiben“ ist ein weiterer Schritt, um mit dem Problem umzugehen. An dieser Anlaufstelle können verdächtige Bearbeitungen gemeldet werden. Dennoch ist es weiterhin möglich Artikel anonym zu verändern.
Die leichteste Methode, um Menschen vor falschen Informationen in Wikipedia zu schützen, beginnt jedoch beim Leser selbst. Selbst der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales ist der Meinung, dass „weder Studenten noch Akademiker noch sonstige Menschen, die auf professioneller Ebene Informationen sammeln und verwerten“, Wikipedia zitieren sollten. Das Lexikon bietet Hintergrundwissen und erlaubt Menschen, sich zu einem Thema zu orientieren, kann aber nicht als alleinige Informationsquelle dienen.
Quellen:
„Studie Verdeckte PR in Wikipedia“ der Otto Brenner Stiftung, Stand 31.03.14:
https://www.otto-brenner-stiftung.de/otto-brenner-stiftung/aktuelles/verdeckte-pr-in-wikipedia-das-weltwissen-im-visier-von-unternehmen.html
Interview mit Jimmy Wales, Stand 08.04.14:
http://www.heise.de/tr/artikel/Studenten-sollten-uns-nicht-zitieren-2158448.html
Gegendarstellung Achim Raschka, Stand 13.05.14:
http://www.achimraschka.blogspot.de/2011/10/enthullungsjournalismus-geht-weiter.html
Gegendarstellung Achim Raschka – Seminare, Stand 02.06.14
http://www.achimraschka.blogspot.de/2011/06/enthullungsjournalismus-zur-wikipedia.html#links
Diskussionsseite zum Thema Steylerpresse:
http://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer_Diskussion:Steylerpresse
Statistiken und Listen:
RankingWikipedia, Stand 29.03.14:
http://www.alexa.com/siteinfo/wikipedia.org
Wikipedia-Statistik, Stand 31.03.14:
http://stats.wikimedia.org/DE/TablesWikipediaDE.htm
Übersicht der Wiki-Admins, Stand 31.03.14:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Liste_der_Administratoren
Liste Fakeartikel in Wikipedia, Stand 31.03.14:
http://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:List_of_hoaxes_on_Wikipedia
von: F. Stephan Auch